07.05.2009 | Bericht

ÖRV Jour Fixe - Führung durch den jüdischen Friedhof Währing

Die Historikerin Tina Walzer, die seit 1995 zu dem jüdischen Friedhof in Währing forscht, vermittelte bei einem Rundgang durch das Gelände einen beeindruckenden Einblick in die Geschichte dieses kulturhistorisch einzigartigen Friedhofs. Das rund 2 Hektar große Areal diente als Begräbnisstätte für die Mitglieder der nach dem Erlass des Toleranzpatents durch Joseph II. (1782) entstandenen jüdischen Gemeinde Wiens; er beherbergt etwa 8000 Gräber und wurde 1880 aufgelassen. In den knapp hundert Jahren seines Bestehens war der Ort Spiegel dynamischer gesellschaftlicher Prozesse, kultureller Entwicklungen und wirtschaftlicher Umbrüche, an denen der jüdische Bevölkerungsteil Wiens maßgeblich beteiligt war. Nicht nur die Formgebung und Dekorierung einzelner Grabsteine und Grabmonumente, auch die Gestaltung der gesamten Anlage sind Manifestationen kultureller Identitäten und gesellschaftlicher Positionierungen im breiten Spektrum zwischen Tradition und Akkulturation.

Der Ort ist ein einzigartiges Zeugnis des jüdischen Anteils an der Vergangenheit Wiens bzw. Österreichs; der Zugang zu diesem wichtigen Ort der Erinnerung ist zurzeit allerdings stark eingeschränkt, denn aufgrund von Gefahr in Verzug (herabfallende Äste und offene Grüfte) ist der Friedhof für die Öffentlichkeit gesperrt. Aber selbst innerhalb der umgebenden Mauern ist seine Lesbarkeit bzw. Erfahrbarkeit stark eingeschränkt, denn der Erhaltungszustand des bestehenden Areals ist durch mutwillige Zerstörungen in der NS-Zeit, spätere Vandalismusakte, das Fehlen eines Pflegekonzepts und Umwelteinflüsse erschütternd.

Tina Walzer ging in ihren Ausführungen dazu nicht nur auf konservatorische Probleme bei der Erhaltung einzelner Grabsteine und Monumente ein – so etwa sind die Grabsteine aus Sandstein bis zur Unkenntlichkeit verwittert und die Namen der Verstorbenen vielfach nicht mehr lesbar – sondern vor allem auch auf die sehr viel komplexeren Fragestellungen zur Erhaltung und zukünftigen Gestaltung der gesamten Anlage. Dabei wurde begreiflich, dass die seit 1945 durchgeführten, wohlgemeinten Einzelaktionen langfristig nicht zielführend sind, solange nicht ein - auf einer historischen Bestandsaufnahme basierendes - Konzept erstellt Aufarbeitung und umfassenden wird das vor allem die religiösen und kulturellen Dimensionen dieses Ortes respektiert und in ihrer Vielgestaltigkeit berücksichtigt und einbezieht.

Zu den noch vielen offenen Fragen zählen dabei die Beschilderung, die Führung der Weganlagen und die Pflege des Bewuchses sowie mögliche Nutzungen und Formen der Öffentlichkeit. Der Umgang mit dem – in diesem Fall auch wörtlich zu verstehenden– „gewachsenen Zustand“, mit früheren Zerstörungen und Eingriffen stellen große Herausforderungen dar, die einen intensiven Dialog zwischen der israelitischen Gemeinde als Eigentümer, unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen und der Denkmalpflege fordern.